Die westfälische Stadt, die es eben doch gibt, hat mehr…

Nicht lang schnacken!
So unterhaltsam und kurzweilig die Lektüre eines unserer Heimatbücher ist, vergisst man als Leser schnell, wie viel Recherchearbeit in einem solchen lehrreichen Kulturführer steckt. Als kleinen Einblick in die Vorarbeit zum »Heimatbuch Hamburg« präsentieren wir Ihnen ein paar Notizen vom Schreibtisch der Autorin Tania Kibermanis.
Recherchetrip nach Höltigbaum
Bei der Recherche für das Heimatbuch Hamburg waren die meisten Tipps echte Volltreffer, einige allerdings auch nicht, z.B. Höltigbaum, zwischen Wandsbek und Rahlstedt, klang wirklich vielversprechend: Ein stillgelegtes Bundeswehrübungsgelände, auf dem inzwischen wilde Galloway-Rinder grasen. Da ist doch Musik drin! Ich stellte mir moosüberwucherte Panzer vor, Schießstände, von Einschüssen durchlöchert, einen echten Abenteuerspielplatz.
An einem feuchtgrauen Tag im Februar fahre ich zum Höltigbaum. Ein riesiges Areal, bewachsen mit Steppengras, dazwischen Heidschnucken. Irgendwo werden ja wohl auch die Panzer sein. Ich wandere Hügel rauf, Hügel runter – keine Panzer, keine Rinder, auch keine Heidschnucken mehr. Noch bin ich hoffnungsvoll.
Es wird langsam dunkel. Immer noch nirgendwo militärisches Gerät. Ich weiß nicht mehr wirklich, wo ich gerade bin. Es regnet. Es ist dunkel, langsam kann ich nicht mehr. Keine Panzer, keine Heidschnucken, inzwischen auch kein Steppengras mehr. Ich stakse durch den puren Matsch. Ich frage mich, wer genau mir diesen Scheißtipp mit Höltigbaum gegeben hat und freue mich für ihn, dass ich es vergessen habe. Glücklicherweise bin ich im Kreis gelaufen und kann den Eingang sehen. Dicht dahinter auf einer eingezäunten Wiese schwarze Fellsilhouetten. Einzeln hingetupfte Galloway-Rinder hocken in der Landschaft. Die hatte ich am Anfang doch glatt übersehen.
Die Wiederentdeckung von Wilhelmsburg
Ein echtes Rechercheglück war Wilhelmsburg. Ich gestehe, auch ich war zuerst dem Vorurteil erlegen, dass südlich der Elbe nix Schönes mehr sein kann. Ich fahre mit dem Auto ziellos rum, irgendwo zwischen Fabriken, Elbe, kleinen Brückchen, dem düsteren Bunker und Straßenzügen, die eine abgeblätterte Schönheit ausstrahlen wie eine alte Stummfilmdiva.
Ist das alles zauberhaft verschrabbelt! Und genau das Maß zwischen Idylle und Kaputtheit, das mein Herz gewinnt. Mit dem nettesten Fotografen der Welt fahre ich ein paar Wochen später nach Williburg, genau hier wollen wir die Autorenfotos machen. Wir finden einen verwaisten Lagerplatz für ausgediente Schiffscontainer. Wir machen wunderbare Bilder. Ich bin so für Williburg entflammt, dass ich alle damit nerve: Komm, wir fahren mal nach Wilhelmsburg! Vor über zehn Jahren war ich mal dort, im Winter und in totaler Dunkelheit, in einem U-Boot-Bunker mit unterirdischem Strand, irgendwo in the Middle of Nowhere.
Hätte ich nicht schon ein Zuhause, ich würde mir dort eins suchen.
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